Paul von Limburg, Sündenfall und Austreibung aus dem Paradies, Anfang 15. Jh.

Fast wie auf einem modernen Comic versammelt Paul von Limburg die Einzelszenen der Paradieserzählung auf seinem Bild. Im Auftrag des Herzogs Jean de Berry haben die drei Brüder von Limburg, Paul, Hermann und Jan, zwischen 1413 und 1416 zwei Werke geschaffen, die zu den Meisterwerken der internationalen Gotik zählen: die beiden Stundenbücher Les Belles Heures Du Duc De Berry und Les Très Riches Heures Du Duc De Berry. Aus letzterem stammt die vorliegende Miniatur.


Im Zentrum eines kreisrunden Gartens (als Symbol der Vollkommenheit), der durch eine Mauer von der unwirtlichen Umwelt abgegrenzt ist, befindet sich ein goldener gotischer Brunnen, der über den vier Paradiesflüssen thront. Im Halbkreis sind Szenen aus der Paradieserzählung um diesen Brunnen zu sehen und zwar vom Sündenfall bis zur Vertreibung.


Am linken Rand des paradiesischen Eilandes erhält Eva, welche schon eine goldene Frucht in der linken Hand hält, eine zweite Frucht vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen aus der Hand der Schlange, welche als Reptil mit weiblichem Oberkörper und ähnlichem Aussehen wie Eva dargestellt ist. Die auffallende Parallelität von weiblicher Schlange = verführendem Satan und Eva ist natürlich bewußt inszeniert, kein Detail ist hier dem Zufall überlassen.

In der Szene rechts darunter gibt die gerade von der ihr doch so ähnlichen Schlange verführte Eva nun als selbständige Verführerin die Frucht an Adam weiter. Dieser kniet am Boden kniet und macht eine eher abwehrende Geste, während Eva ihn vertraulich an der Schulter fasst. Hier bereitet sich schon die Rechtfertigung für die spätere Abweisung der Schuld in der Verteidigungsrede gegenüber Gott vor: Nicht ich ... sondern die Frau, die Du mir gegeben hast!

Leicht nach rechts versetzt, aber doch eigentlich im Zentrum sieht man dann Gottvater mit langem weißen Bart, strahlender Aureole und blauer Toga im ernsten Gespräch mit Adam und Eva. Beide haben den Kopf leicht gesenkt und bedecken mit der linken Hand ihre Blöße, während Adam mit der rechten Hand auf Eva als wahrer Schuldiger deutet. Auffällig, dass Eva hier nicht auf die Schlange als wahre Schuldige hinweist.

Die Szene wird abgeschlossen durch die Vertreibung am rechten Bildrand. Ein roter Engel drängt Adam und Eva aus dem Paradies, welche beide ihre Nacktheit notdürftig mit einem Laubblatt bedecken. In der gesamten Komposition des Bildes wird deutlich, was Adam und Eva alles mit diesem Schritt verlieren: eine ganze Welt. Es ist ein geschlossener vollkommener Kosmos, den sie hinter sich lassen müssen. Und nichts gibt darüber Auskunft, was "da draußen" auf sie wartet.

Auffällig am gesamten Bild ist die Darstellung von Adam und Eva. Während Eva mit einem vortretenden Bauch gemalt ist, wie er bei den Frauen dieser Zeit Mode war, scheint Adam eher nach dem Vorbild hellenistischer Statuen gebildet worden zu sein. Die Konzeption des Bildes zielt vollständig - auch wenn das auf den ersten Blick nicht sofort auffällt - auf die Sünde der Eva, ihre Schuld ist das Thema dieses Bildes, welches so von Maria als Mutter des Erlöser und neuer Eva abgesetzt wird.