Die Schrift im Bild
Nicht selten finden sich in Kunstwerken auch Schriftzeichen. Nicht nur in der Unterschrift des Künstlers und der Datierung des Werkes, sondern als eigenständige Gestaltungsmittel. Mal werden die Schriftzeichen nur vereinzelt verwendet, um mit einem Schlagwort stichwortartig eine andere "Welt" zur Sprache zu bringen. Da diese nicht visuell, sondern nur in Symbolen angedeutet ist, wird sie sich beim Betrachter aus seinem Erfahrungsschatz heraus öffnen (Hörl, Appold). Wenn das ganze Bild aus Schriftzeichen und Sätzen gebildet wird, entstehen Schriftbilder (Buri, Faller-Barris).
Mit der Hand geschrieben, gemalt oder geformt, bringen sie immer etwas ganz Persönliches des Künstlers zum Ausdruck. Und da dann das Wort im Zentrum steht, verstärken die grafischen Mittel wie Farben und Hintergrund, Größe und Schreibstil oder verwendete Materialien die Aussage des geschriebenen Wortes. Sie wirken als nonverbale Intensivierung der Aussage, bei der auch die Faktoren "Zeit" (wie viel Zeit verstreicht beim Schreiben) und "Intention" eine große Rolle spielen.
Bei der Eisenskulptur von Madeline Dietz bildet dadurch der Luftraum der "Ich will Frieden"-Schrift einen Gegensatz zur undurchdringlichen Eisenwand. Jede Aussage wird so zu einem weiteren Zeichen für mehr Transparenz, Durchsicht und Begegnung. Und weil Ai Weiwei für seine riesengroßen Schriftzeichen am Haus der Kunst in München Schultaschen verwendete, füttert er gleichsam die geschriebenen Worte "Sieben Jahre lebte sie glücklich in dieser Welt" und verbindet sie mit dem Unglück in Sichuan, bei dem Hunderte von Schulkindern beim Erdbeben starben.
Schreiben geschieht nicht von allein. Es muss gewollt sein, gelernt und gekonnt. Früher waren Schreiber gelehrte Leute, da sie Schreiben und Lesen konnten. Heute ist das Allgemeingut geworden. Jeder sollte lesen und schreiben können, allein schon um seinen Freunden oder Bekannten eine SMS oder eine Email schreiben zu können. Auch wenn das Handschriftliche wenig gefragt ist, schreiben und lesen zu können sind wie ein Schlüssel zum Verständnis jeder Kultur und Sprache.
Mit der Schrift ist auch der Wille zur Äußerung verbunden. Gedanken werden so festgehalten und können durch die Printmedien veröffentlicht und verbreitet werden. Das Wort ist dadurch nicht mehr an die Person oder den Sprecher gebunden, sondern kann vervielfältigt werden und seinen eigenen Weg gehen. In Briefen, Büchern und Bildern aufbewahrt, gespeichert, überdauert es (solange das Trägermaterial hält) die Zeit und kann jederzeit abgerufen werden. So auch das Wort Gottes in der Heiligen Schrift.
Doch welchen Sinn hat das geschriebene Wort, wenn es vom Menschen nicht erkannt, gelesen, aufgenommen und verinnerlicht wird. Auf diesen Vorgang hat Hans Thomann mit seinen Suppenbuchstaben hingewiesen. Er zählte alle Buchstaben in der Bibel als Suppenbuchstaben nach und lud dann die Gemeinde ein, bei den gemeinsamen Fastenessen zu essen. So wurde nachvollziehbar deutlich, dass das Wort Gottes nicht etwas Äußeres ist, sondern uns innerlich berühren und bewegen soll. Einen ähnlichen Weg ging Alexandra Königsmann mit Ihrer Arbeit "Gedanke", bei dem sie den Betrachter auf faszinierende Weise für einen dankbaren Umgang mit den Gedanken sensibilisiert.
Nochmals anders wird die Schrift in Kunstwerken wahrgenommen, wenn Gegensätze erzeugt werden. So hat Günther Uecker zwei Verse aus dem Matthäusevangelium in die unmittelbare Nachbarschaft von nachträglich in den Bildträger eingeschlagene und umgebogene Nägel gebracht und lässt auf diese Weise den Betrachter den Wiederstand spüren, den diese Schriftworte auslösen können. Oder Anselm Kiefer hat riesige Folianten mit Blei übergossen und Stacheldraht umwickelt, damit ihr Inhalt nicht zugänglich ist und gelesen werden kann.
"Bildimpulse" von Patrik Scherrer zu den einzelnen Kunstwerken
Hans Thomann, Auflösung, 2007 (3.402.248 Suppenbuchstaben)
Unzählbar viele Buchstaben türmten sich im November 2007 in der evangelisch-reformierten Kirche in Zürich-Witikon vor dem Besucher auf einer großen schwarzen Metallplatte auf. Die Buchstaben waren als Suppeneinlagen allen bekannt, ja vom ... mehr
Carola Faller-Barris, Waiting for God, 2004 (Tusche auf grundierter Leinwand, Mittelteil 140 x 150 cm, Seitenteile je 140 x 75 cm (Gesamtgröße 140 x 300 cm))
Aus der Ferne erkennt man auf den ersten Blick nicht viel auf diesem dreiteiligen Bild. Feine horizontale Linien durchziehen fast die ganze Bildfläche des Triptychons. Nur oben ist ein schmaler Streifen leer geblieben. Durch diesen hohen „Horizont“ ... mehr
Ai Weiwei, Remembering, 2009 (Rucksäcke und Metallstruktur, 9,25 x 106,05 x 0,1 m)
9000 Schulranzen in blauer, roter, gelber und grüner Farbe sind während der Ausstellung „So Sorry!“ des chinesischen Künstlers Ai Weiwei vom 12. Oktober 2009 bis zum 17. Januar 2010 an der Fassade ... mehr
Ottmar Hörl, Unschuld, 1997 (Multiple, Seife (5,2 x 8 x 3,2 cm) mit Aufdruck in schwarzer Kunststoffdose (6,7 x 10 x 4 cm) mit weißem Schriftaufdruck, geplante Auflage 82.000.000 Exemplare)
Eine schwarze Seifenschale. Sie wäre nichts Spektakuläres, hätte sie nicht den weißen Aufdruck „UNSCHULD“ auf dem Deckel und wäre das gleiche Wort nicht in die Seife eingelassen. Damit erhalten ... mehr
Günther Uecker, Dialog Matthäus 5, 43-44, 2002 (Graphit, Farbe, Papier, Nägel, Holz, 32 x 45 cm)
Hinter einem „Gitter“ von geknickten Nägeln zeichnet sich eine graue Handschrift auf der hellen Leinwand ab. Von Hand geschriebene Sätze, denen die Zahlen 43 und 44 vorangestellt sind und weitere ... mehr
Alexandra Königsmann, Gedanke, 2003 (Pigment Print/Canvas, 96 x 96 cm)
Kräftig leuchtet die rote Form im schwarzen Hintergrund. Sie ist im unteren Bereich durch die weißen Buchstaben des Wortes „danke“ überlagert, im linken Bereich durch ein halbtransparentes Rechteck. Insgesamt eine ... mehr
Madeleine Dietz, Ich will Frieden - Friedenszeichen, 2009 (Cortenstahl, 260 x 400 x 75 cm)
Wie das Transparent einer Friedensdemonstration ragt es unübersehbar in die Höhe. Doch so rostig sich der Stahl der übergroßen „Papierrolle“ auch gibt, dieses stille Mahnmal will eine bleibende Kundgebung für den ... mehr
Samuel Buri, Schriftbild zu Mt 6, 2007 (103 x 66 cm, Aquarell auf Papier aus der Zürcher Kunstbibel mit insgesamt 20 Schrift-Bildern)
In intensiven Farben präsentiert sich uns ein altbekannter und vielen wahrscheinlich auch vertrauter Text: das Gebet zum Vater im Himmel, das Jesus seine Jüngern gelehrt hat. Mit diesen Worten ... mehr
Uwe Appold, Das siebte Kreuzeswort, 2000 (Acryl und Sand auf Leinwand, 220 x 163 cm)
Die Thematik dieses Bildes ist mit den römischen Schriftzeichen LK XXIII, XLVI und den großen Buchstaben PATER, IN MANUS TUAS eigentlich klar auf die Leinwand geschrieben. Sie verweisen ... mehr
Anselm Kiefer, Maria durch ein Dornwald ging, 2008 (Bleibücher, Nato-Stacheldraht, 6000 kg, 190 x 170 x 160 cm)
Mitte Oktober 2008 erhielt Anselm Kiefer als erster bildender Künstler den Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. Unter anderem, weil er dem Buch in seinem ... mehr
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